SMA mehr als eine neuromuskuläre Erkrankung?

Im Volksmund wird Spinale Muskelatrophie einfach nur “Muskelschwund” genannt, und mit Multipler Sklerose, Duchenne usw. in einen Topf geworfen. Auch Nicht-Neurologen verwechseln heute immer noch gern mal die SMA mit der Dystrophie…. Wer hat nicht schonmal spinale Muskeldystrophie oder ähnliches auf dem Überweisungsschein stehen gehabt? Soweit so gut, bzw. eben wie gehabt. Wir Betroffene wissen ja, dass SMA eine neuromuskuläre Erkrankung ist, bei dem das SMN1-Gen kaputt ist, das SMN-Protein nicht erstellt wird, das SMN2-Backup-Gen als Aushilfe etwas faul ist, worüber wiederum die MotoNeurone nicht so ganz glücklich sind, und ihren Dienst so pö a pö quittieren, was uns letztendlich diesen umgangsprachlich genannten Muskelschwund, bzw. fachlich korrekter, die Muskelatrophie beschert. Zumindest war genau das immer die bisherige Erklärung zu SMA.

Bezüglich der MotoNeurone und der damit verbundenen Muskelsteuerung ist das auch immernoch so, aber das Rad der Forschung hat sich weiter gedreht. Einige Studien, der eine oder andere hat bestimmt schonmal darüber gelesen, haben mittlerweile herausgefunden, dass die geringfügige Verfügbarkeit des SMN-Proteins doch nicht nur die MotoNeurone verärgert und in vielen Organen, wie Niere, Herz, Leber etc. und sogar im Muskel selbst benötigt wird und dort seine Zipperlein hinterlässt. Ein Beispiel eines Artikel bezüglich der Nieren, auf diesen Seiten: https://patientenstimme-sma.de/news/nierenpathologie-bei-sma-mausmodell/, sowie ein weiterer Artikel aus 2016 welcher auf der Plattform PubMed veröffentlich wurde, der zumindest in der öffentlich zugänglichen Übersicht die jeweiligen Organe aufzählt.

Folgend 2 übersetzte Auszüge der Übersicht:

Neuere Studien haben gezeigt, dass der Abbau von SMN-Proteinen die Funktion anderer Gewebe beeinträchtigt, einschließlich Skelettmuskel, Herz, autonomem und enterischem Nervensystem, Stoffwechsel / endokrinen (z. B. Bauchspeicheldrüse), Lymph-, Knochen- und Fortpflanzungssystem.

Zusammengenommen weisen diese Studien darauf hin, dass SMA eine Multiorganerkrankung ist, was darauf hindeutet, dass eine wirklich wirksame Krankheitsintervention eine körperweite Korrektur der SMN-Proteinspiegel erfordern kann.

Nash LA, Burns JK, Chardon JW, Kothary R, Parks RJ. Spinal Muscular Atrophy: More than a Disease of Motor Neurons? Curr Mol Med. 2016;16(9):779-792. doi: 10.2174/1566524016666161128113338. PMID: 27894243.

Quelle: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27894243/

Nun ist man also schonmal ein großes Stück weiter, und die Geschichte der spinalen Muskelatrophie erlebt einen weiteren Wandel, wie etwa 1956 als man erkannte, dass die SMA keine Dystrophie ist. Wo wird wohl die Reise hingehen? Wird SMA irgendwann mal so locker vom Hocker behandelbar wie ein Schnupfen? Oder stellt man neue Hürden fest? Und kann man die dann auch behandeln? Da kommen wohl noch viele Fragen auf!

Die Forscher haben also noch viel zu tun! So z.B. entwickelt sich aktuell mit dem Netzwerk SMABEYOND, unter der Leitung von Molekularbiologe Professor Dr. Peter Claus, des Institutes für Neuroanatomie und Zellbiologie, der Medizinischen Hochschule Hannover, ein internationales Konsortium mit Forschergruppen aus Großbritannien, Italien, Spanien, Deutschland und den Niederlanden, um die Auswirkung der SMA auf Organe aufzuklären, und zu untersuchen, wie Medikamente individuell wirksam eingesetzt werden können. Unterstützt wird das Projekt, im Rahmen des Wissenschaftsprogramms Horizon 2020, von der Europäischen Union. https://cordis.europa.eu/project/id/956185/de


Dr. Niko Hensel (links), wissenschaftlicher Mitarbeiter am MHH-Institut für Neuroanatomie und Zellbiologie, und Professor Dr. Peter Claus mit einem Lungenausgusspräparat. Copyright: Karin Kaiser / MHH

Es bleibt also spannend ……

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